Der Dualismus von Privatheit und Öffentlichkeit

... stand im Zentrum meiner Überlegungen, als vor etwa 15 Jahren diese Webseite konzipiert wurde. So sollten diese Seiten auf den Diskurs im öffentlichen Raum beschränkt werden. Die Entscheidung hatte ich u.a. mit einem Verweis auf Hannah Arendt begründet: Auf der einen Seite wird die Öffentlichkeit zunehmend privatisiert, andererseits nimmt die Veröffentlichung des Privaten zu. Privatheit und Öffentlichkeit unterliegen - ihrer Ansicht nach - einem fundamentalen Transformationsprozess.(1)
Diese Entwicklung hat sich unter dem Einfluss des Internets dynamisiert, wobei die sozialen Medien wie twitter, facebook und andere die Funktion eines Brandbeschleunigers einnehmen. Zugleich ist die öffentliche Kommunikation vielfach verroht, die Verpflichtung auf die Regeln eines rationalen Diskurses ist vielfach obsolet. Anders formuliert:
Goya Capricho 43
Goya Capricho 43: El sueño de la razón
produce monstruos
Wenn man rationale Regeln des öffentlichen Diskurses in der Tradition der Aufklärung als Maßstab anerkennt, so gelten diese für viele Kommunizierende nicht. Dies jedenfalls macht die Eigenheit vieler sozialer Medien und damit auch ihrer Nutzer aus. Diesem Problem kann man sich auch auf andere Weise nähern, wie im Folgenden dargestellt wird:
Die Abbildung auf der rechten Seite soll diesen gefährlichen Prozess in einer anderen Darstellungsweise illustrieren und stellt darüberhinaus zwei Interpretationsmöglichkeiten zur Wahl.
Das Abbildung zeigt Goyas Capricho 43: Der Schlaf / Traum der Vernunft gebiert Ungeheuer. Das Spiel mit den Möglichkeiten des Verstehens ist hier bereits vorgegeben. Denn das spanische Wort für Schlaf heißt sueño und kann ebenso Schlaf wie Traum bedeuten. Wenn die Vernunft schläft, dann charakterisiert dies heute eine verbreitete Redeweise in populären sozialen Medien Reden ohne die Kontrollinstanz der Vernunft. Welche Sinngebung bei der zweiten Bedeutung von sueño entsteht, ob auch bei dieser Bedeutungsvariante ein Bezug zur gegenwärtigen Redeweise entsteht, wird hier näher erörtert.

Mönch am Meer
Der Autor als Mönch am Mittelmeer,
sueña con monstruos; © Monika H
Keine Website ohne Autor: Die linke Darstellung zeigt den Verfasser an der spanischen Mittelmeerküste westlich von Mazagón. Ein kleines postmodernes Verwirrspiel. Das Foto zitiert Caspar David Friedrichs Bild "Der Mönch am Meer", das 1810 auf viele zeitgenössische Betrachter irritierend wirkte, weil es mit Konventionen der Landschaftsmalerei brach, wie später auf einer eigenen Seite näher erläutert wird. Ein weiteres Bild des Malers, Der Wanderer über dem Nebelmeer, zeigt ebenfalls eine Rückenfigur, hier allerdings bildprägend. Wie der Mönch ist sie vom romantischen Maler so positioniert, das sie die Konfrontation zu den Naturgewalten zu suchen scheint. Diese Sichtweise der Naturbegegnung erfährt zur Gegenwart vielfältige Variationen.(3)


(1) s. Hannah Arendt [erstmals] 1958. Vita activa oder vom tätigen Leben. Dieses Werk wurde zu einer Zeit konzipiert, als die Netzwelt noch nicht präsent war. Trotzdem sind Hannah Arendts Überlegungen zu den Begriffen von Privatheit und Öffentlichkeit wegen ihrer analytischen Schärfe auch in einer veränderten Medienwelt hilfreich.
(2) Im Netz finden sich zahlreiche Darstellungen und Besprechungen, zur Einführung hier.
(3) Seit einiger Zeit ist eine Postkarte im Umlauf, betitelt Romantik 2.0. Diese zeigt unseren Wanderer, wie er ein Selfie aufnimmt. Es fällt auf, dass Friedrichs Bild manche Zeitgenossen zur karikierenden Darstellungen einlädt. Etwa: Der Wanderer und das Selfie, hier; wobei die Kritik offenbar ganz wesentlich auf den gegenwärtigen Umgang mit Selfies abzielt.